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Beitrag 2
Das deutsche Energiesystem und das energiepolitische Dreieck
Das gibt es hier zu erfahren
Aus Beitrag 1. wissen wir, dass Klimaschutz gleichzusetzen ist mit der Vermeidung von Treibhausgasemissionen. Um in folgenden Beiträgen Erläuterungen zu Klimaschutzmaßnahmen richtig einordnen zu können, wird in den Beiträgen 2. bis 4. Grundlagenwissen zum Energiesystem in Deutschland, zur Energiewende und zur Versorgungssicherheit vermittelt. Damit sollen die Rahmenbedingungen dargestellt werden, mit deren Kenntnis ein Dialog rund um Klimaschutzmaßnahmen zielführender erfolgen kann.
Den Beginn macht das Energiesystem. Klimaschutz und Energiewende betreffen in Deutschland in erster Linie fünf Bereiche, die oft auch als Sektoren bezeichnet werden: Energiewirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude (bzw. Wärme) und Industrie. In der öffentlichen Diskussion ging es in den vergangenen Jahren vor allem um den Bereich Energiewirtschaft. Aber auch, wenn nun verstärkt von einer Elektrifizierung des Verkehrs und bei Wärme in Gebäuden vom Ersatz fossiler Heizstoffe durch elektrische Lösungen gesprochen wird, muss die Energiewirtschaft hierfür den notwendigen Strom zur Verfügung stellen können. Zu einem besseren Verständnis dieser Diskussion ist die Kenntnis der Grundlagen unseres Energiesystem notwendig. Aus diesem Grund widmet sich dieser zweite, einführende Beitrag dem Aufbau, der Funktionsweise und aktuellen Rahmenbedingungen des deutschen Energiesystems.
- So funktioniert unser Stromsystem
- Der Strom- und Energiemix in Deutschland
- Das energiepolitische Dreieck
- Speicherung und Übertragung im Stromsystem
- Ausblick
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Kleine Klimaschule Beitrag 2 (707,9 KiB)1. So funktioniert unser Stromsystem
Korrekt muss man in diesem Beitrag statt vom Energie- vom Stromsystem und Stromnetz sprechen – da Energie viel mehr als nur den Strom umfasst. Zur Energie insgesamt und somit zum Energiesystem zählen auch die Kraftstoffe für den Verkehr oder Mineralöle für Ölheizungen. Nur aus einem Teil der fossilen Energieträger wird elektrische Energie erzeugt. Strom oder elektrische Energie bildet also auch nur einen Teil des gesamten Energiesystems, wir sprechen deshalb in der Kleinen Klimaschule bei elektrischer Energie nicht vom Energie-, sondern vom Stromsystem.
Vereinfacht dargestellt, stehen sich in Deutschland die Erzeuger und Verbraucher von elektrischer Energie immer in einem Gleichgewicht gegenüber. Auf einer Seite speisen Erzeuger genau die Menge elektrischer Energie in das System ein, die auf der anderen Seite von den Verbrauchern gerade benötigt wird. Das Stromnetz sorgt für die Übertragung der elektrischen Energie.
Energieerzeugung und Energieträger: Elektrische Energie wird aus fossilen oder erneuerbaren Energieträgern sowie aus Kernkraft erzeugt. Zu den fossilen Energieträgern zählen Kohle, Gas und Erdöl. Aus ihnen wird in Kraftwerken Energie erzeugt. Erneuerbare Energien werden mit Windkraftanlagen aus Wind- und mit Photovoltaikanlagen aus der Sonnenenergie sowie in entsprechenden Anlagen aus Biomasse und Geothermie gewonnen. Zu den erneuerbaren Energieträgern zählt zudem Laufwasser, aus dem z.B. mit Hilfe von Staudämmen und Wasserkraftwerken Energie gewonnen werden kann. Eine Sonderform davon stellen die Pumpspeicherkraftwerke dar. Kernkraft wird in Kernkraftwerken gewonnen, sie zählt weder zu den fossilen noch zu den erneuerbaren Energieträgern und stellt eine Sonderform dar.
Stromnetz: Beim Stromnetz wird das Übertragungsnetz und das Verteilnetz unterschieden. Das Übertragungsnetz liefert Strommengen über größere Entfernungen z.B. mit Hochspannungsleitungen oder Erdkabeln. Das Verteilnetz liefert den Strom dann vom Übertragungsnetz in Haushalte und Betriebe und wird z.B. von Stadtwerken betrieben.
Gesicherte und volatile Energie: Neben der Unterscheidung in fossile und erneuerbare Energieträger ist für ein Verständnis des Stromsystems die Unterscheidung von gesicherter und volatil erzeugter Energie sehr wichtig. Kraftwerke können ständig Energie ins System einspeisen, weshalb die Energieträger Kohle, Gas, Öl, Kernkraft und Biomasse gesicherte Energie liefern können. Bei diesem Thema wird oft von sicherer Leistung (Grundlast) gesprochen. Sie ist für den stabilen Betrieb des Energienetzes notwendig. Die Erzeugung von Energie aus Wind und Solar ist abhängig vom Wind und dem aktuell verfügbaren Sonnenschein und gilt damit als nicht gesichert bzw. nicht geregelt verfügbar.
Stromverbrauch: Die elektrische Energie wird auf der anderen Seite vorwiegend durch Privathaushalte und die Wirtschaft (Unternehmen, Industrie etc.) verbraucht. Nachts, wenn alle schlafen und weniger Unternehmen arbeiten, ist der Stromverbrauch geringer und steigt tagsüber mit der Aktivität der Wirtschaft an. Morgens und abends wird zudem in den Privathaushalten mehr elektrische Energie verbraucht, bevor die Menschen zur Arbeit gehen bzw. nachdem sie von selbiger heimkehren. Zudem ist der Stromverbrauch in bestimmten Jahreszeiten höher, z.B. wenn die Temperaturen kälter sind und es länger dunkel ist, da in diesen Zeiten mehr elektrische Energie für Wärme und Licht benötigt wird.
Das Gleichgewicht: Erzeuger und Verbraucher werden durch das Stromnetz verbunden. Dessen Betreiber müssen minutenscharf immer für ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch sorgen. Würde entweder zu viel oder aber zu wenig elektrische Energie ins Stromnetz eingespeist als auf der anderen Seite bei den Verbrauchern benötigt, würde das Stromnetz zusammenbrechen. Elektrische Energie kann in den Verbundnetzen kaum gespeichert, sondern nur zwischen Erzeuger und Verbraucher verteilt werden. Der eingespeisten elektrischen Energie muss deshalb zu jedem Zeitpunkt ein gleich großer Verbrauch gegenüberstehen. Deshalb sorgt ein ausgeklügeltes System für ein beständiges Gleichgewicht im Stromnetz und jederzeit für eine einheitliche Frequenz. Im europäischen Stromsystem beträgt diese Frequenz 50 Hertz. Der Mix aus fossilen und erneuerbaren Energien und derzeit noch der Kernkraft, der ins Stromnetz eingespeist wird, muss also immer genau auf den aktuellen Verbrauch abgestimmt werden. Wird von einem Energieträger mehr Energie geliefert, muss ein anderer Energieträger entsprechend reduziert werden. Dabei muss aber jederzeit und zuverlässig so viel elektrische Energie lieferbar sein, wie von den Verbrauchern benötigt wird. Man spricht auch davon, dass dieses Gleichgewicht immer in „Echtzeit“ gewährleistet sein muss. Das Stromnetz wird in dieser vereinfachten Darstellung von drei Akteuren bestimmt: den Energieerzeugern, den Verbrauchern und den Betreibern des Stromnetzes.
Potenziale der Energieträger: Erneuerbare Energie aus Laufwasser und Biomasse gilt in Deutschland als ausgeschöpft. Aufgrund fehlender zusätzlicher Flächen in der Landwirtschaft zur Gewinnung von Biomasse für entsprechende Verbrennungsanlagen gilt Biomasse als Energieträger als kaum erweiterbar. Zudem ist mit der Wandlung von Biomasse in elektrische Energie der ethische Konflikt mit der Nahrungsmittelknappheit in anderen Regionen der Welt verbunden. Eine Erweiterung dieses Energieträgers wäre in gewissem Umfang dann möglich, wenn sich der Fleischkonsum in Deutschland erheblich reduziert und deutlich weniger Flächen für den Anbau von Futtermitteln für die Tierhaltung benötigt werden. Hierzu erfolgen in späteren Beiträgen bei der Betrachtung der Landwirtschaft sicher ausführliche Informationen. Energie aus Laufwasser gilt aufgrund der geografischen Gegebenheiten (Staudämme etc.) sowie des teuren Neubaus, der mangelnden Akzeptanz bei der lokalen Bevölkerung und des derzeit nicht wirtschaftlichen Betriebs von Pumpspeicherkraftwerken, ebenso als kaum erweiterbar. Geothermie spielt in Deutschland aufgrund fehlender geografischer Rahmenbedingungen und vor allem Risiken, z.B. von Erderschütterungen oder dem Durchtrennen von Grundwasser leitenden Schichten, ebenso kaum eine Rolle. Die weiteren Energieträger (Wind, Solar, Kohle, Atom, Gas und Erdöl) können grundsätzlich in ihren Potenzialen abhängig von politischen Entscheidungen und entsprechenden Rahmenbedingungen gemindert oder gesteigert werden, weshalb sich Betrachtungen zum Klimaschutz auch auf diese Energieträger fokussieren.
Verfügbarkeit der Energieträger: Ein letzter Betrachtungspunkt ist die Verfügbarkeit der Energieträger in Deutschland. Hierbei lassen wir die Energieträger mit bereits ausgeschöpftem Potenzial unbeachtet. Da der Ausstieg aus Kernenergie in Deutschland bis Ende 2022 beschlossen ist, gilt dies auch für Atomenergie. Wind und Sonne sind in Deutschland natürlich verfügbar. Der Ausbau der Windenergie an Land (auch „onshore“ genannt) gestaltet sich aufgrund der mangelnden Akzeptanz bei der lokalen Bevölkerung und veränderter Rahmenbedingungen durch Auslauf finanzieller Förderungen zunehmend schwierig, im Jahr 2019 kam der Ausbau der Windkraft in Deutschland fast zum Erliegen. Derzeit konzentriert man sich verstärkt auf neue Windkraftanlagen auf dem Meer (auch „offshore“ genannt). Gas und Erdöl werden in Deutschland nur in sehr geringen Mengen gewonnen und deshalb importiert. Diese Energieträger stammen vorwiegend aus drei bis vier Regionen: zum kleinsten Teil und nachlassend aus Norwegen, zunehmend auch aus den USA (sogenanntes Fracking Gas) und vor allem aus Russland sowie von der arabischen Halbinsel bzw. aus dem Persischen Golf. Bei der Kohle muss man in Stein- und Braunkohle unterscheiden. Steinkohle wird in Deutschland seit 2019 nicht mehr abgebaut, sie kommt in der Regel per Schiff aus Australien, Asien oder Südafrika. Braunkohle ist in Deutschland verfügbar und wird noch in drei Regionen abgebaut (Rheinland, Mitteldeutschland und Lausitz).
2. Der Strommix in Deutschland
Der Strommix in Deutschland, das heißt der Anteil der einzelnen Energieträger zur ins Stromsystem insgesamt eingespeisten Energiemenge, wird zunehmend durch das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) als Grundlage der deutschen Energiewende bestimmt. Es regelt u.a. die Vorfahrt für erneuerbare Energieträger bei der Einspeisung ins Stromnetz – einfach gesagt, wird erneuerbare Energie immer zuerst ins Stromnetz aufgenommen. Die übrigen Energieträger liefern den restlichen Bedarf und sorgen durch gesicherte Leistung für die Netzstabilität. Da die ausführlichen Zusammenhänge der Entwicklung des Strommixes dem späteren Beitrag zur deutschen Energiewende vorbehalten sind, werden an dieser Stelle lediglich die aktuellen Beiträge der einzelnen Energieträger Deutschlands zur Stromproduktion betrachtet.
Strom wird wie alle Güter einer Volkswirtschaft auf einer Art Strommarkt gehandelt. Dort bestimmt der Preis die Reihenfolge, in der Energieträger zum Einsatz kommen. Günstige Energieträger werden von den Netzbetreibern zuerst eingekauft und bei Mehrbedarf dann auch die kostenintensiveren Energieträger. Das nennt man auch „Merit-Order-Prinzip“. Abgesehen von den erneuerbaren Energieträgern, die immer zuerst eingespeist werden, gestaltete sich die Reihenfolge der Energieträger mit ihren Preisen auf dem Strommarkt von günstig nach teuer sowie nach der Notwendigkeit der jeweiligen Anlagen in den vergangenen Jahren wie folgt:
- EEG-Anlagen (Erneuerbare Energien)
- KWK-Anlagen (Anlagen, die neben Strom auch Wärme erzeugen – unabhängig vom Energieträger)
- Atomenergie
- Braunkohle
- Steinkohle
- Gas
- (Sonderposition: Pumpspeicherwerke)
Im Jahr 2019 wurde Strom aus Gaskraft zunehmend günstiger angeboten und wird inzwischen teils auf dem Preisniveau von Steinkohle gehandelt.
Der Kraftwerkseinsatz nach dem Merit-Order-Prinzip
Der Preis, den jeder Energieerzeuger auf dem Markt für seine gelieferte Energie erhält, entspricht dabei immer dem Preis des teuersten benötigten Energieträgers. Wenn so viel Energie nachgefragt wird, dass die Leistung der Kraftwerke für Kohle, Atom und Gas benötigt wird, erhalten auch die Erzeuger von Kohle- und Atomstrom den höheren Gaspreis auf den von ihnen gelieferten Strom. Reicht bei weniger Bedarf die Leistung der Braunkohle- und Atomkraftwerke aus, erhalten diese den günstigeren Preis für Atomstrom, während die Steinkohle- und Gaskraftwerke dann keinen Strom liefern. Je mehr Energie nachgefragt wird, desto stärker profitieren also die Erzeuger der günstigen Energieträger. Für Erzeuger erneuerbarer Energie gilt dies nicht, sie erhalten jederzeit einen garantierten Festpreis. Dies gilt auch unabhängig davon, ob die erneuerbare Energie zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung tatsächlich benötigt wird.
Da erneuerbare Energieträger Vorfahrt haben und mit zunehmenden Mengen in das Stromsystem eingespeist werden, sinkt der Bedarf an den anderen Energieträgern. In den vergangenen Jahren bedeutete das, dass insbesondere Energie aus Erdgas aufgrund ihrer höheren Kosten immer seltener nachgefragt wurde. Windkraft hatte im Jahr 2019 erstmals mit ca. 25 % den größten Anteil an der deutschen Stromerzeugung, gefolgt von Braunkohle als günstigstem Energieträger mit ca. 20 %, Atom (ca. 14 %), Gas (ca. 10%), Steinkohle, Solar und Biomasse (alle um die 9 %). Da Wind- und Solarenergie wechselhaft anfallen und nicht immer verfügbar sind, liefern Kohle, Atom und Gas aktuell noch über die Hälfte des in Deutschland benötigten Stroms, Erneuerbare insgesamt mit Wind, Solar, Biomasse und Wasser ca. 46 %. Wer sich für den aktuellen Strommix interessiert, kann diesen tagesaktuell und rückblickend auf einer Webseite des Fraunhofer-Instituts unter www.energy-charts.de einsehen. Hier wird auch der Unterschied bei der Einspeisung zu unterschiedlichen Jahreszeiten deutlich, so empfiehlt sich eine Betrachtung unterschiedlicher Monate und die Auswirkung von jahreszeitlich unterschiedlich stark anfallender volatil erzeugter Energie aus Wind und Sonne auf den Anteil des sicher verfügbaren Stroms aus den nicht erneuerbaren Energieträgern Kohle, Gas und Kernkraft.
Anteile der Energieträger 2018
Anteile der Energieträger 2019
Anteile der Energieträger 2019: Windkraft liefert erstmals den größten Anteil am Strommix, der Anteil erneuerbarer Energieträger an der elektrischen Energie konnte durch ein sonnen- und windreiches Jahr 2019 um rund 5% auf insgesamt 46% gesteigert werden.
Eine Sonderrolle kommt den Pumpspeicherwerken zu. Sie nutzten früher meist billigen Nachtstrom, um Wasser von einem Unterbecken in ein Oberbecken zu pumpen und lieferten durch Ablassen des Wassers elektrische Energie dann tagsüber genau zu den Zeiten, in denen kurzfristig viel elektrische Energie benötigt und auch teurer vom Netzbetreiber eingekauft wurde. Sie sind nach wie vor die einzigen großtechnischen Anlagen, die durch ihre Funktionsweise elektrische Energie zwischenspeichern und wieder freisetzen können. Je größer die möglichen Preisdifferenzen beim Strom zu unterschiedlichen Zeiten, desto besser können sie ihre Funktion erfüllen. Durch die Zunahme erneuerbarer Energie im System nehmen heute die Preisschwankungen ab, auch in Zeiten mit großem Energiebedarf wird weniger zusätzliche Energie benötigt. Der wirtschaftliche Betrieb von Pumpspeicherkraftwerken gestaltet sich durch die Veränderungen in Energiewirtschaft und Energiepolitik immer schwieriger.
Für ein Verständnis zum Mix der Energieträger ist zudem eine Unterscheidung der Begriffe Grundlast, Mittellast und Spitzenlast hilfreich. Darunter ist folgendes zu verstehen:
- Grundlast: Die Grundlast ist die Strommenge, die kontinuierlich und jeden Tag 24 Stunden lang benötigt wird. Als grundlastfähige Energieträger bezeichnet man solche Energieträger, die rund um die Uhr sicheren Strom produzieren können.
- Mittellast: Tagsüber steigt der Strombedarf durch die Tätigkeit der Wirtschaft an, diese Steigerung wird als Mittellast bezeichnet.
- Spitzenlast: Sie beschreibt kurze Zeiträume mit sehr hohem Strombedarf, wie z.B. den Arbeitsbeginn in Wintermonaten, wenn die Wirtschaft in kurzer Zeit viel Energie zum „Hochfahren“ verbraucht.
Heute werden diese Lasten aus allen zur Verfügung stehenden Energieträgern und auf Grundlage der EEG-Regelungen bedient, sowohl durch volatile als auch gesicherte Energieträger.
Heute wird anstelle des klassischen Verständnisses von Grund-, Mittel- und Spitzenlast vermehrt von der Residuallast gesprochen. Während das klassische Schema aufzeigt, wie regelbare Kraftwerke die unterschiedlichen Lasten vor dem Zuwachs der Erneuerbaren geregelt haben, fällt heute ungeregelte Energie durch Wind und Sonne unabhängig vom jeweiligen Bedarf bzw. der jeweiligen Last an. Die Residuallast beschreibt die Differenz zwischen dem Strom, der aus ungeregelter erneuerbarer Energie gerade verfügbar ist zum aktuellen Bedarf. Sie ist also die Lücke, die durch regelbare Energie aus konventionellen Kraftwerken wie Kohle, Gas, Atom und regelbarer erneuerbarer Energie aus Biomasse und Laufwasser zu schließen ist.
3. Das energiepolitische Dreieck
Das energiepolitische Dreieck ist eine Vereinfachung zum Verständnis von Entscheidungen in der Energiewirtschaft. Wir betrachten es im ersten Schritt unabhängig von Aspekten rund um Energiewende und Klimaschutz.
Das energiepolitische Dreieck als Schema für Entscheidungsgrundlagen und Zielkonflikte in der Energiewirtschaft
Bei einem Dreieck gibt es immer den Zielkonflikt, da man sich einem Eckpunkt nur nähern kann, wenn man sich von mindestens einem der anderen Eckpunkte entfernt. Das bedeutet, wenn ich einem der Ziele Sicherheit, Umweltschutz oder Wirtschaftlichkeit näherkommen möchte, werden andere Ziele weniger gut erfüllt. So sind Investitionen in den Umweltschutz mit Kosten verbunden, die Energie teurer und in diesem Sinne weniger wirtschaftlich machen. Ebenso kann durch Maßnahmen des Umweltschutzes die Effizienz der Energieerzeugung sinken, z.B. durch die Installation von Filteranlagen für Schadstoffe, die dem Gesamtprozess erzeugte Energie entziehen. Das energiepolitische Dreieck hilft zu verstehen, dass Entscheidungen immer in einem Abwägen dieser drei Bereiche getroffen werden. Wer nur an Wirtschaftlichkeit denkt, vernachlässigt Umweltschutz und Sicherheit, wer nur an Umweltschutz denkt, vernachlässigt entsprechend Sicherheit und Bezahlbarkeit. Zum Umweltschutz zählen z.B. Maßnahmen wie Filteranlagen für Feinstaub und andere Emissionen von Kohlekraftwerken oder die Rekultivierung von Tagebauflächen, ebenso müssen beim Bau von Windkraft- oder Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen oder in Waldgebieten im selben Umfang Ausgleichsflächen geschaffen und nach bestimmten Bedingungen umweltfreundlich aufbereitet werden. Auch der Rückbau dieser Anlagen muss unter umweltverträglichen Gesichtspunkten stattfinden. Insofern ist der Bereich Umweltschutz im energiepolitischen Dreieck unabhängig von der Energiewende zu sehen, die diesem Ziel natürlich in den vergangenen Jahren deutlich mehr Gewicht gibt. Das energiepolitische Dreieck ist ein Entscheidungsschema, das unabhängig von Energiewende und aktueller Klimaschutz-Debatte schon immer vereinfacht Zielkonflikte sichtbar macht und so auch vielfältig in Vorträgen und Veröffentlichungen zu Energiethemen zu finden ist. Unter den veränderten Rahmenbedingungen aktueller Entscheidungen zum Klimaschutz kann es allerdings nicht mehr alle Zielkonflikte abbilden und nicht mehr alle Entscheidungen erklären. So ist die Vorfahrt für erneuerbare Energien in das deutsche Stromnetz zum Festpreis eine Entscheidung, die Wirtschaftlichkeit (Bezahlbarkeit) und (Versorgungs)Sicherheit außer Acht lässt. Mit Blick auf die folgenden Beiträge scheint die Ergänzung eines weiteren Kriteriums sehr hilfreich, da die drei historischen Merkmale allein aktuelle Entscheidungen nicht mehr vollständig erklären können. Insofern erweitern wir auch für künftige Darstellungen in der kleinen Klimaschule das Dreieck zu einem Viereck, in dem „Akzeptanz“ als viertes Merkmal eingeführt wird.
Um den zunehmenden Einfluss gesellschaftlicher bzw. politischer Akzeptanz auf energiepolitische Entscheidungen zu verdeutlichen, empfiehlt sich die Erweiterung des energiepolitischen Dreiecks zu einem Viereck.
Das Merkmal „Akzeptanz“ gab bereits bei der Entscheidung zum Atomausstieg den entscheidenden Ausschlag. Atomenergie erfüllt die Ziele Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Selbst beim Umweltschutz mit Blick auf viel diskutierte Emissionen gilt Kernkraft in vielen Ländern als emissionsarm (CO2-Reduzierer) und umweltfreundlich. Die fehlende gesellschaftliche bzw. politische Akzeptanz in einem Land kann dennoch dazu führen, dass über einen Energieträger unabhängig von einer Abwägung der Fakten zu Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umweltschutz entschieden wird. So war und ist es beim Atomausstieg Deutschlands der Fall.
4. Speicherung und Übertragung im Energiesystem
Zuletzt sollen als Grundlagen die Speicher- und Übertragungsmöglichkeiten im deutschen Energiesystem betrachtet werden.
Zur Speicherung: Heute ist eine Speicherung von Energie im Stromnetz in großen Maßstäben nicht möglich. Wird zu viel Energie erzeugt, kann diese nicht für Zeiten mit Energiemangel zwischengespeichert werden. Das ist nur im kleinen Maßstab (Einfamilienhäuser, autarke ländliche Dörfer etc.) möglich. Zwar wird eifrig an der Erforschung von Speichertechnologien für große Energiemengen geforscht. Experten gehen heute aber davon aus, dass erst Mitte der 2020er-Jahre überhaupt Aussagen möglich sind, welche Speichertechnologien für eine Anwendung im großen Maßstab die richtigen sind. Diese müssen dann entwickelt und für die Anwendung umgesetzt werden. So wurden für sogenanntes „grünes Gas“, bei dem mittels Elektrolyse aus Wind- oder Solarstrom Gas zur späteren Umwandlung in elektrische Energie gewonnen wird, zwar vor knapp zehn Jahren kleine Demonstrationskraftwerke geschaffen, seitdem ist aber nichts mehr passiert. Aktuell widmen sich viele Modellprojekte diesem Thema, meist ist dabei von Wasserstoff oder H2 die Rede. So soll in der Lausitz ein Wasserstoff-Referenzkraftwerk entstehen. Im Jahr 2019 wurden bundespolitisch verschiedene Modellvorhaben in diesem Bereich angeschoben, die mit Blick auf Planung, Forschung, Entwicklung und Umsetzung noch einige Jahre bis zum ersten Praxiseinsatz benötigen. Sie sollen überschüssigen Wind- oder Solarstrom in Wasserstoff (oder grünes Gas) umwandeln, das als Energiespeicher funktioniert und später wiederum in elektrische Energie gewandelt werden kann. Es wird voraussichtlich noch ein Jahrzehnt vergehen, bis aus diesen Modellprojekten erste großtechnische Anlagen entwickelt werden können. Niemand kann heute sagen, wann Energiespeicher im großen Maßstab zur Verfügung stehen werden.
Heute können lediglich Pumpspeicherwerke einen Energieüberschuss nutzen und Wasser aus einem Fluss oder Unterbecken in ein Oberbecken pumpen, um dann bei Energiemangel das Wasser abfließen zu lassen und die daraus erzeugte Energie wieder ins Stromnetz abzugeben. Als Speicher spielen diese Anlagen aufgrund ihrer geringen Anzahl, des lediglich kurzfristigen Ausgleichs sowie der mangelnden Wirtschaftlichkeit für die wachsenden Anforderungen an eine langfristige Speicherung allerdings kaum eine Rolle. Auch Vorhaben im Bereich von Batteriespeichern verfügen nur über sehr geringe Kapazitäten. So wird in der Lausitz eine BigBattery mit einer Leistung von 50 MW im Jahr 2020 den Betrieb aufnehmen, das entspricht einer Leistung von 0,05 Gigawatt. Zum Vergleich: Bei starkem Wind fallen an einem Tag hunderte Gigawattstunden Strom an, für die es künftig einer Speicherung bedarf. Technologien dazu stecken weltweit noch in den Kinderschuhen, müssen nun also schnell entwickelt werden, wenn der weitere Ausbau von Anlagen für Wind- und Solarstrom bei einer emissionsarmen, aber stabilen Stromversorgung helfen soll.
Zum Übertragungsnetz: Ein weiteres Kriterium im Stromsystem ist die Leistungsfähigkeit des Übertragungsnetzes, vor allem, um Energie aus dem windreichen Norden Deutschlands in den bezogen auf Wirtschaft und Bevölkerung deutlich stärkeren Südwesten zu bringen. Der Ausbau der bisher geplanten Übertragungsnetze mit einer Gesamtlänge von 7.700 Kilometern kommt nur sehr langsam voran. Realisiert waren Ende 2018 erst 950 Kilometer, davon 30 Kilometer im gesamten Jahr 2017. Bereits genehmigt sind 1.800 Kilometer, noch zu genehmigen 5.900 Kilometer, noch umzusetzen 6.750 Kilometer (Stand Jahresbeginn 2019). Langwierige Planungs- und Klageverfahren infolge der mangelnden Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung verzögern den Netzausbau. Man kann heute schwer sagen, wie viele Jahre bzw. Jahrzehnte er noch benötigen wird. Seit geraumer Zeit wird über Möglichkeiten zur Planungsbeschleunigung diskutiert, bislang ergebnislos. Die Übertragungsnetze sind auch die Grundlage, um die verstärkt auf dem Meer ausgebaute Windenergie dorthin zu transportieren, wo sie benötigt wird.
Hinweis: Energieautarke Dörfer und virtuelle Kraftwerke
In vielen Darstellungen zur Energiewende begegnet man infolge der zunehmenden Leistung aus erneuerbarer Energie Konzepten, die auf den ersten Blick zur klassischen Darstellung des Stromsystems im Widerspruch zu stehen scheinen. Das dem auf den zweiten Blick dann doch nicht so ist, zeigen zwei Beispiele:
Energieautarke Dörfer: Inzwischen gibt es nicht nur Gebäude, sondern auch Dörfer, die aus Erneuerbaren wie Windkraft- und Solaranlagen mehr Strom erzeugen, als sie selbst benötigen. Auch hier gibt es aber Zeiten, in denen der Bedarf die gerade vorliegende Erzeugung übersteigt – und andererseits Zeiten, in denen mehr erzeugt wird als benötigt. Deshalb sind auch sogenannte energieautarke Dörfer ans Stromnetz angeschlossen. Produzieren sie mehr Strom als gerade benötigt, wird dieser ins Stromnetz eingespeist. Produzieren sie weniger Strom als gerade benötigt, wird dieser aus dem Stromnetz entnommen und entspricht dann dem gerade verfügbaren Strommix aus konventionellen und erneuerbaren Energieträgern. Autark, also von der Außenwelt unabhängig, sind diese Dörfer also nicht. Sonst hätten sie zu vielen Zeiten keinen Strom und müssten diesen noch öfter vernichten.
Virtuelle Kraftwerke: Erneuerbare Energie fällt in unterschiedlichen Anlagen für Wind-, Solarkraft oder Biomasse an. Die Zusammenfassung vieler solcher dezentralen Anlagen über ein gemeinsames Leitsystem wird als virtuelles Kraftwerk bezeichnet. Der Gedanke dahinter ist, dass viele Anlagen durch einen solchen Zusammenschluss wie ein konventionelles Kraftwerk im Stromsystem agieren, gemeinsam ihren erzeugten Strom vermarkten und über alle Anlagen hinweg besser auf Anforderungen des Stromsystems wie Ausgleich von Schwankungen etc. reagieren können. Es handelt sich also lediglich um einen Zusammenschluss von erneuerbaren Energieanlagen mit einer gemeinsamen „Zentrale“, für die dennoch die bis hierhin beschriebenen Aspekte gelten. Sicher lässt sich dadurch die Regelbarkeit in gewissem Maß erhöhen, aber in windstillen Nächten können virtuelle Kraftwerke die regelbaren konventionellen Kraftwerke noch nicht ersetzen. Das kann sich in Zukunft ändern, wenn in solchen Zusammenschlüssen dezentraler erneuerbarer Energieträger mittels neuer Anlagen (Wasserstoffkraftwerke) aus Wind- und Sonnenstrom grünes Gas (Wasserstoff) hergestellt werden kann und in Zeiten mit fehlendem Wind- und Sonnenstrom den Ausgleich gewährleistet. Heute sind virtuelle Kraftwerke eher ein praktisches Konstrukt zur besseren Vermarktung erneuerbarer Energie.
5. Energiesystem und Stromsystem
Im Rahmen des noch folgenden Beitrags zur Energiewende wird ausführlich auf Energieträger über das hier dargestellte Stromsystem hinaus eingegangen. Zum besseren Verständnis soll abschließend schon einmal der Unterschied zwischen dem Bedarf an elektrischer Energie und dem gesamten Energiebedarf, zwischen Strommix und Energiemix in Deutschland ergänzt werden. Der gesamte Energiemix macht die Herausforderungen deutlich, die mit der Vermeidung von fossilen Energieträgern und Emissionen verbunden sind. Da in den Bereichen Wärme (Ölheizungen, Gasheizungen) und Verkehr (Kraftstoffe) z.B. vorwiegend Mineralöle und Erdgas zum Einsatz kommen, steigt der Anteil fossiler Energieträger am gesamten Energiemix auf 86%, während Erneuerbare heute 14% des gesamten Energiebedarfs decken.
Anteile der einzelnen Energieträger am gesamten Energiebedarf in Deutschland über elektrische Energie und das Stromsystem hinaus.
6. Ausblick
Die Grundlagen zum Energie- bzw. Stromsystems erleichtern in kommenden Beiträgen das Verständnis bei der Betrachtung auch anderer Sektoren insbesondere hinsichtlich Emissionen und Klimaschutz. Dabei hilft die Unterscheidung in sichere und volatil erzeugte Energie sowie die Einführung der Akzeptanz als ein Kriterium, das zusätzlich Einfluss auf Entscheidungen nimmt. Anmerkungen zur Sicherheit, Bezahlbarkeit, Speicherung und Übertragung helfen bei späteren Darstellungen zu erkennen, welche Forderungen tatsächlich einen realistischen Beitrag für den globalen Klimaschutz liefern können.
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